Wiesbaden – An Hessens Schulen wird nach wie vor der Islamunterricht von der DITIB gestaltet. Eine Entscheidung für ein endgültiges Aus für den an der türkischen Religionsbehörde hängenden Verhandlungspartner soll erst in den nächsten Wochen fallen. Die Landesregierung hat anscheinend immer noch nicht genug von Erdoğans willigen Vasallen und hofft auf eine Fortsetzung der unseligen Zusammenarbeit.
Wie die FAZ berichtet, will die schwarzgrüne Landesregierung in den nächsten Wochen darüber entscheiden, ob der Moscheeverband Ditib weiterhin islamischen Religionsunterricht an hessischen Schulen geben kann oder durch andere Träger abgelöst wird.
Ditib gilt eigentlich schon seit langem, nicht zuletzt durch medienwirksame Skandale als „verlängerter Arm einer autoritären Regierung, die demokratische Mindeststandards missachtet.“ Zu einer solchen Beurteilung kamen Gutachten bereits 2012, doch wurden ihre Bedenken seinerzeit vom islamhörigen FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn und seiner Kultusministerin Nicola Beer (FDP) diskret überhört und verdrängt. Für einen bekenntnisorientierten Islamunterricht wurde damals die Ditib als größerer und die Ahmadiyya-Gemeinde als kleinerer Partner eingebunden. Bei den Lehrern soll es sich laut FAZ um hessische Beamte handeln. Der islamunterreicht selbst sei laut Kultusminister Lorz nicht beanstandet worden. Dennoch weckte ein Rechtsgutachten bereits 2017 „deutliche Zweifel an der grundsätzlichen Eignung von Ditib Hessen als Kooperationspartner“. Daraufhin sei der Moscheeverband aufgefordert worden, seine Unabhängigkeit vom türkischen Staat zu beweisen. Sie gilt als Vorrausetzung für eine Fortsetzung als Kooperationspartner in Sachen Islamunterricht.
Von einem Aus für Erdogans verlängerten Armen im Schulbetrieb war dem Vernehmen nach nie die Rede. Nach einer Prüfung von Unterlagen im Jahr 2019 entschied der CDU-Kultusminister den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht für die Schulklassen 1 bis 6 beizubehalten, aber nicht wie ursprünglich geplant auf die siebte Klasse auszudehnen. Plötzlich scheint die Politik der DITIB, verlängerter Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die für die Hinwendung der Türkei zum fundamentalistischen Islam verantwortlich ist, nicht mehr das Schreckgespenst zu sein, dass noch in einem Gutachten von Dr. Günter Seufert 2017 beschworen worden war. In einem Papier des Kultusministeriums heißt es dazu unter anderem:
„Der generelle Anlass für die Neubewertung von DITIB-Hessen und in diesem Zusammenhang der Diyanet sind die sich zuspitzenden politischen Verhältnisse in der Türkei, deren Auswirkungen auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern zu spüren sind und die die Frage nach der religiösen und politischen Rolle der Religionsbehörde in der Türkei und im Ausland erneut auf die Tagesordnung setzen.
In der Literatur mehren sich die Stimmen, die der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungs-Partei (AKP) einer Abkehr von der Säkularisierung, Europäisierung und Westanbindung bezichtigen, Ziele, auf die türkische Regierungen seit Ausrufung der Republik 1923 ungeachtet vieler Unterbrechungen hingearbeitet haben. Im Gegensatz dazu verfolge die AKP heute „die religiös-konservative Umgestaltung der Gesellschaft im Einklang mit osmanischer Politiktradition und islamischen Werten“. Es bestehe „die Gefahr, dass religiöse Praxis und ihre ethischen Grundlagen in staatliche Gesetze gegossen“4und so für alle Bürger verbindlich gemacht würden. Seit 2012 arbeite die AKP „systematisch an der Islamisierung des Bildungssystems“, eine Politik, die sehr wohl zu einer „sunnitisch-islamischen Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft“ führen könne.
Im Lande selbst sehen selbst wertkonservative Autoren die Tendenz, dass der Islam auf eine Gegnerschaft zu säkularen Gruppen in der Gesellschaft reduziert wird und seiner ethischen Dimensionen verlustig gehe.6Die Staatsführung macht sich seit geraumer Zeit ungeniert eine stark religiös gefärbte Rhetorik zum Ziele des Machterhalts zu Eigen. Sie setzt jegliche innenpolitische Opposition mit einer Agententätigkeit für ein Europa gleich, das der Türkei unversöhnlich gegenüber stehe und alles daran setze, das Land zu schwächen um damit der islamischen Welt ihre natürliche Führung zu rauben.7So radikal und unversöhnlich dem Westen gegenüber führt die Regierung den Diskurs, dass man in Israel bereits vor der Entstehung eines „sunnitischen Irans“ warnt.
In Rahmen des Gutachtens soll deshalb zum einen geprüft werden, ob sich angesichts der aktuellen politischen Auseinandersetzung in der Türkei und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Polarisierung die Lehre der Diyanet im Hinblick Werte und Prinzipien wie Toleranz, Religions-freiheit, religiöse Pluralität, Grundrechte Dritter und Geschlechtergerechtigkeit zum Negativen verändert hat. Augenmerk soll auch darauf gelegt werden, ob sich ein politischer Islam10in Politik und Gesellschaft ausbreitet, in der Diyanet Widerhall findet und so Einfluss auf die DITIB nehmen könnte.“
Am Ende kommt das knapp 50 seitige Gutachten zu dem Ergebnis:
„Angesichts der augenblicklichen innenpolitischen Klimas aber auch angesichts der Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis müssen sich die deutschen Behörden bei der Zusammenarbeit mit der Diyanet zumindest mittelfristig auf eine eher konfrontative Politik Ankaras gefasst machen.“
Drei Jahre nach Erscheinen dieser Warnung scheinen die Sätze weniger wert zu sein als das Papier, auf dem sie gedruckt wurden. Nun heißt es plötzlich im Vorfeld der endgültigen Entscheidung für das Ende der schon viel zu lange währenden Zusammenarbeit: „Die entscheidenden Bedenken sind rechtlicher Natur“, so Kultusminister Lorz, der hier als „Jurist“ spricht. Zwar habe Ditib seine Satzung geändert, aber es sei offen, wie der Bundesverband, die türkische Religionsbehörde Diyanet und gegebenenfalls die Regierung in Ankara Einfluss auf die hessische Organisation nähmen, berichtet die FAZ weiter. Das deutet darauf hin, dass Hessen trotz eindeutiger niederschmetternder Gutachten immer noch die Hoffnung hegt, an der DITIB festhalten zu können. Erwähnt werden Maßnahmen der DITIB, ihre Arbeit im Schulsektor zu professionalisieren. Am Ende stellt sich die Landesregierung laut FAZ die Frage, „ob die strukturellen Veränderungen tatsächlich die nötige Unabhängigkeit von Ankara garantierten. Auch die theoretische Möglichkeit der Beeinflussung durch die türkische Regierung müsse ausgeschlossen sein.“ (KL)