Ankara – Erneut versucht das türkische Erdoğan-Regime einen Gesetzentwurf durchzubringen, der die Vergewaltigung Minderjähriger unbestraft lässt, wenn der Täter sein Opfer heiratet. Die Empörung in der englischsprachigen Presse über das „Heirate Deinen Vergewaltiger“-Gesetz ist groß.
Das neue Gesetz, dass im türkischen Parlament noch in dieser Woche debattiert werden soll, sieht vor, dass Männer, die Mädchen unter 18 Jahren vergewaltigen, keine Strafe erwarten dürfen, wenn sie ihr Opfer anschließend ehelichen. Ob es eine Begrenzung des Altersunterschieds zwischen den beiden Parteien geben wird, ist noch unklar. Wenn es einen geben soll, wird er entweder auf 10 oder 15 Jahre festgesetzt – ein „verabscheuungswürdiges Zugeständnis“, findet Independent-Kommentatorin Sara Tor.
Sie glaubt, Erdoğans politische Ansichten zu kennen: Er wolle mit Hilfe des Gesetzes die Bevölkerungszahlen erhöhen und so die Türkei weiter zur „führenden Nation“ aufbauen. „Starke Nationen“ entstammten laut dem türkischen Despoten „starken Familien“. Auch deshalb äußere er immer wieder den Wunsch, dass türkische Familien mindestens drei Kinder haben sollten. Erst vor zwei Wochen erklärte Erdoğan, dass es nicht der islamischen – und somit türkischen – Kultur entspräche, außerhalb der Ehe zusammenzuleben oder Kinder zu haben. „Ein Vergewaltiger, der sein junges Opfer heiratet, bedeutet nicht nur, dass jedes Kind, das durch den Vorfall geboren wurde, legitimiert wird. Da das Mädchen noch viele fruchtbare Jahre vor sich hat, wird es auch in der Lage sein, mehr Kinder zu zeugen“, so Sara Tor in ihrem Kommentar.
Abgeordneten der Opposition und auch die UN verurteilten laut MailOnline die Gesetzesvorlage und warnten davor, dass ein solches Gesetz dazu führen würde, dass Mädchen gegen ihren Willen zu Ehen gezwungen würden und dass sie zu Missbrauch ermutigt würden.
Wie The Independent berichtet, könnten auch Hunderte bereits verurteilte Vergewaltiger profitieren, sollte das Gesetz Wirklichkeit werden. 4000 Täter sollen laut der türkischen Zeitung Hürriyet aktuell wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen verurteilt worden sein – viele von ihnen könnten auf freien Fuß Gesetz werden, wenn sie einwilligen, ihr Opfer zu heiraten.
Ein ähnliches Gesetz wurde dem türkischen Parlament bereits 2016 vorgelegt, aber zurückgezogen, nachdem es weltweite Empörung ausgelöst hatte.
Erst 2017 hat die Türkei ein neues Gesetz verabschiedet, das es islamischen Muftis erlaubt, standesamtliche Trauungen durchzuführen. Der Schritt wurde kritisiert, weil er die säkulare Verfassung der Türkei untergräbt und die Tür für Kinderbräute öffnet und deren Zahl erhöht. Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen haben gegen ähnliche Gesetzeslücken gekämpft, die in den letzten Jahren in Ägypten, Marokko, Tunesien, Jordanien, Libanon und Palästina beseitigt wurden.
Das offizielle Heiratsalter in der Türkei ist 18 Jahre. In einem im Jahr 2018 veröffentlichten Regierungsbericht über die Eheschließung von Kindern wird die Zahl der in den vergangenen zehn Jahren verheirateten minderjährigen Mädchen auf 482.908 geschätzt. (MS)